Zürich stoppt die bevorstehende Sanierung der Bellerivestrasse und liebäugelt mit Spurabbauten

Zurück auf Feld eins im Seefeld: Das städtische Tiefbauamt will untersuchen, ob auf der Hauptstrasse zwischen Tiefenbrunnen und Stadelhofen Fahrspuren abgebaut werden können oder Tempo 30 eingeführt werden kann. Die ab 2019 geplante Sanierung der Bellerivestrasse muss warten.


Quelle: André Müller @NZZ (8. Oktober 2018)

Ab 2019 hätte die Bellerivestrasse, die Hauptroute von der Goldküste in die Stadt Zürich, saniert werden sollen. Drei Jahre hätte das gedauert. Daraus wird jetzt (vorerst) nichts: Wegen der negativen Rückmeldungen aus dem Quartier und dem Gemeinderat hat der Stadtrat die Notbremse gezogen und die Sanierung auf unbestimmte Zeit sistiert. Das hat das städtische Tiefbauamt am Montag (zu Ferienbeginn) mitgeteilt. Stattdessen will es mit einer neuen Studie ausloten, ob nicht Autospuren abgebaut und zu Velostreifen umgewandelt werden könnten.

Weitergehende Abklärungen, zum Beispiel, ob der Veloweg auch in der Dufourstrasse verlaufen könnte, sind nicht Teil der Studie. «Wir konzentrieren uns auf die Kapazität für den motorisierten Individualverkehr auf der Bellerivestrasse», sagt Sabina Mächler, die Sprecherin des Tiefbauamtes. Es würden Varianten mit zwei, drei und vier MIV-Fahrspuren geprüft sowie mögliche Temporeduktionen. Bei zwei Fahrspuren könnte auf beiden Strassenseiten ein Velostreifen eingerichtet werden, bei drei Spuren nur ein Velostreifen in eine Richtung.

Kampf um den knappen Strassenraum

Eines ist jetzt schon klar: Alle Seiten wird die Stadt an der Bellerivestrasse nie zufriedenstellen. Zwischen See und Seefeldquartier ist es eng, und die Ansprüche sind gross. Auf 11 Metern Breite sind heute vier Fahrspuren für Autos und Busse untergebracht. Jenseits der Hecke teilen sich Velos und Fussgänger den Platz dem Seebecken entlang, was für beide Seiten manchmal unangenehm ist.

Die ursprüngliche Idee für eine Komfort-Veloroute am Utoquai, die zu Filippo Leuteneggers (fdp.) Zeit als Tiefbauvorsteher ausgearbeitet wurde, stiess bei vielen Gemeinderäten auf Ungnade: Die Velospuren seien zu wenig breit, und insbesondere rund um das Restaurant Pumpstation komme es zu gefährlichen Situationen. Für das Projekt hätten zudem einige Bäume gefällt und habe ein Stück Hecke weichen müssen, das den Utoquai von der Strasse abgeschirmt habe. Dafür wäre die Lösung mit dem heutigen, vierspurigen Betrieb der Bellerivestrasse vereinbar gewesen. Viele Quartierbewohner machten sich aber für eine Beruhigung der Strasse stark – gegen einen Spurabbau oder Tempo 30 auf der Bellerivestrasse würden sich allerdings die Autolobby und die Goldküsten-Gemeinden wehren.

Der Gemeinderat hatte dem Stadtrat im letzten Dezember zudem den Auftrag erteilt, einen dreijährigen Pilotversuch mit nur noch drei Autospuren durchzuführen; die dringliche Motion der Grünliberalen passierte den Gemeinderat mit einer deutlichen Mehrheit. Die mittlere Spur soll dabei mit dem Pendlerstrom am Morgen stadteinwärts und am Abend stadtauswärts führen. Anstelle der vierten Autospur gäbe es Raum für zwei Velostreifen (laut Tiefbauamt reicht der Platz aber nur für eine Velospur). Das dreispurige Regime hätte dann im Rahmen des Sanierungsprojekts getestet werden können.

Vor diesem Pilotversuch will die Stadt mit ihrer neuen Studie jetzt abklären, was verkehrsplanerisch überhaupt machbar ist. Klar ist: Einer Spurreduktion auf der Bellerivestrasse stehen viele Hürden im Weg, und es dauert Jahre, bis sie umgesetzt werden könnte. Hindernis Nummer eins ist der Kanton, der auf überkommunalen Strassen, wie es die Bellerivestrasse ist, das Sagen hat. Sollte er einem Bauprojekt mit weniger Fahrspuren zustimmen, muss dieses dann nochmals öffentlich aufgelegt werden.

Ob der bürgerliche Kanton ein Gehör für die Wünsche der Stadt hat, ist jedoch unklar. Er muss sich auch am Gegenvorschlag zur Anti-Stau-Initiative orientieren, der 2017 an der Urne angenommen wurde und verlangt, dass Kapazitätsabbauten für den MIV im nahen Umfeld kompensiert werden müssen. Diese neue Regel dürfte auch anderswo zu Meinungsverschiedenheit von Stadt und Kanton führen, zum Beispiel beim Bau des Trams Affoltern.

Im Sommer 2017 hat Filippo Leutenegger an einer Quartierinformation jedenfalls noch gesagt, dass der Kanton einen Spurabbau auf der Bellerivestrasse kaum bewilligen werde. Unter der neuen Führung von Richard Wolff (al.) hat das Tiefbauamt seine Einschätzung offenbar geändert.

Die Geschäftsleitung des Tiefbauamts habe diesen Entscheid – angesichts der verfahrenen Situation – in Absprache mit dem Departementsvorsteher getroffen, sagt dazu Sabina Mächler, die Sprecherin des Tiefbauamtes.

Kantonales Schweigen

Der Kanton äussert sich noch nicht zu einer möglichen zwei- oder dreispurigen Variante. Man werde sich das neue Projekt genau anschauen, wenn es seitens der Stadt vorliege, sagt Markus Gerber, der Sprecher des kantonalen Amts für Verkehr, «wie bei jedem anderen Strassenabschnitt, der den Kanton betrifft».

Weil Wasserleitungen, Kanalisation und der Strassenbelag mancherorts aber in sehr schlechtem Zustand sind, wird das Tiefbauamt vor der Gesamtsanierung lokal Reparaturen durchführen. Diese Aufteilung könnte zu Zusatzkosten führen. Laut Mächler lässt sich das zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht sagen. «Das Tiefbauamt wird einen neuen Projektierungskredit ausarbeiten und beantragen.»