VCS will Tempo 30 auf Hauptstrassen

Tempo 30 ist gemäss Bundesgericht neu auch auf Hauptstrassen erlaubt. Nun möchte der VCS Zürich dieses Verkehrsregime in Ortsdurchfahrten und Quartierzentren einführen.

Quelle: @stefan_haene von tagesanzeiger.ch (Bild: Reto Oeschger)


Mitten im Abstimmungskampf um die neue städtische Parkplatzverordnung und die Initiative zum Rosengartentram kommt ein weiteres verkehrspolitisches Thema in Fahrt: Tempo 30. Der VCS Zürich sieht im Kanton Zürich die Möglichkeit, Tempo 30 neu auch auf Kantonsstrassen einzuführen; dies in Ortsdurchfahrten oder Quartierzentren wie etwa beim Morgental in Wollishofen, beim Albisriederplatz oder im Zentrum Oberwetzikons.

VCS-Geschäftsführer Markus Knauss sagt, Tempo 30 unterstütze gestalterische Massnahmen wie breite Trottoirs oder Mittelstreifen. «Dies führt zu mehr Aufenthaltsqualität in den Zentren und zu mehr Sicherheit.» Dank Tempo 30 werde es möglich, Strassen «gefahrloser» zu überqueren, sagt der Fraktionschef der Grünen im Gemeinderat. In der Stadt Zürich gibt es heute rund 120 Tempo-30-Zonen, die auf Nebenstrassen in Quartieren liegen.

Der VCS stützt seine Aussagen auf ein Bundesgerichtsurteil ab, wonach Tempo 30 nicht nur auf Neben-, sondern auch auf Hauptstrassen möglich sein soll. Die Richter in Lausanne hatten eine Beschwerde des TCS abgewiesen, der in Münsingen BE auf zwei Kantonsstrassen verfügte Tempo-30-Zonen bekämpft hatte. Die Berner TCS-Sektion hatte die Münsinger Ortsdurchfahrt zum Präjudiz erhoben, um die Sachlage abschliessend zu klären.

Kritik der Bürgerlichen

Tempo 30 auf Hauptstrassen ist gemäss Bundesgericht möglich, wenn sich eine schwer erkennbare Gefahr anders nicht entschärfen lässt oder wenn der Schutz bestimmter Strassenbenützer es erfordert, ebenso bei grosser Verkehrsbelastung, um den Verkehr zu verflüssigen oder eine übermässige Umweltbelastung zu mindern. Im konkret beurteilten Fall waren die Richter zum Schluss gelangt, eine Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h verbessere den Verkehrsfluss bei der Ortsdurchfahrt von Münsingen.

Die FDP taxiert den Entscheid des Bundesgerichts als widersprüchlich. Kantonsrätin Carmen Walker Späh (Zürich) sagt mit Blick auf Münsingen, im Gegenzug seien dort nun die bisherigen Fussgängerstreifen aufzuheben. Die Fussgänger müssten sich neu durch eine verstetigte Autokolonne ihren Weg suchen. «Gerade bei kleinen Kindern ist dies höchst problematisch.» Walker Späh fragt sich, was das Ziel der Temporeduktion sei: dank Verkehrsverflüssigung weniger Umweltbelastung und schnelleres Vorwärtskommen für die Autos? Oder eine verbesserte Fussgängersicherheit für mehr Lebensqualität?

Weniger Stau dank Tempo 30?

Die SVP spricht von einem «falschen Signal». «So könnte nun jede Stadt oder jedes Dorf einen vom Bundesgericht erwähnten Punkt herauspicken, um eine 30er-Zone auf einer ihrer Hauptstrassen zu fordern», sagt Kantonsrat Ruedi Menzi (Rüti), der die Verkehrskommission präsidiert. Tempo 30 sei höchstens in Kombination mit einer Umfahrung zulässig. Der Kanton bestimme als Eigentümer der Hauptstrassen das Temporegime. «An diesem Grundsatz darf nicht gerüttelt werden», stellt Menzi klar.

Doch just darauf zielt die Linke ab. «Die Gemeinden müssen mehr Hoheit über die Strassen in ihrem Gebiet haben», fordert SP-Kantonsrätin Sabine Ziegler (Zürich). Aus Tempo 30 erwachsen ihrer Ansicht nach sogar Vorteile für die Wirtschaft. An beruhigten Strassen steige der Wert der Liegenschaft, das Gewerbe floriere, sagt Ziegler. Und verweist auf eine Studie, in der die Stadt Zürich dieses Phänomen an der Badenerstrasse untersucht hat. «Wollen wir unsere Dörfer erhalten, dann muss der motorisierte Verkehr langsamer werden.» Zudem reduziere Tempo 30 auf Hauptstrassen die Staugefahr – ein Argument, das bürgerliche Politiker als rein ideologisch motiviert kritisieren. «Auto- und Lastwagenfahrer müssen effizient vorwärtskommen, dies ist nicht zuletzt für die Wirtschaft wichtig», sagt SVP-Gemeinderat Mauro Tuena. Mit Tempo 30 auf Hauptstrassen sei dies nicht mehr der Fall.

Rot-grüne «Erbsenzählerei»

Einen Mittelweg schlägt FDP-Kantonsrätin Walker Späh ein: Tempo 30 auf Hauptstrassen unterstützt sie, sofern sich in Ortszentren so die Lebensqualität verbessert, indem etwa die dort ansässigen KMU grössere Überlebenschancen haben. «Es geht aber nicht an, dass Links-Grün im gleichen Zug bei den Parkplätzen wieder Erbsenzählerei betreibt und bei jedem Parkplatz zum Beispiel vor einer Bäckerei rot sieht.»