Das Trottoir, die neue Kampfzone?

Velo vs. Fussgänger: Seit kurzem sind Kindervelos auf Trottoirs erlaubt. Der Verband Fussverkehr wehrt sich – mit der Petition «Rettet das Trottoir». Dichtestress auf dem Trottoir, echt jetzt?


Quelle: SRF vom 8. Mai 2018

Trottinetts und Scooter, Kinderwagen und Skateboards: Immer mehr Nicht-Fussgänger benutzen das Trottoir. Seit kurzem dürfen Kinder bis 12 Jahre sogar mit dem Velo auf dem Trottoir fahren – ganz offiziell. Dagegen hat der Verband Fussverkehr vor ein paar Tagen eine Petition gestartet: «Rettet das Trottoir» heisst diese.

Das Trottoir, die neue Kampfzone? Dichtestress auf dem Gehsteig ist kein neues Phänomen, meint dazu der Stadtsoziologe Christian Schmid von der ETH Zürich.


Interview mit Christian Schmid ist Geograph, Soziologe und Stadtforscher. Er ist Titularprofessor für Soziologie am Departement Architektur der ETH Zürich und Forscher am ETH Studio Basel / Institut Stadt der Gegenwart.

SRF: Muss man als Fussgänger künftig befürchten, zwischen all den Velos und Scootern keinen Platz mehr zu finden?

Christian Schmid: Ich kann verstehen, dass die Situation an einigen Orten für Fussgänger nicht angenehm ist. Es ist aber nicht so, dass es ständig schlimmer würde. Solche Auseinandersetzungen bestehen schon lange.

Das jüngste Beispiel zeigt einmal mehr den Kampf um die knappe Ressource im Strassenraum – und die verschiedenen Interessensgruppen, die ihre Ansprüche geltend machen wollen.

Warum wird dieser Verdrängungskampf auf dem Trottoir heute so scharf wahrgenommen?

Die Interessensgruppen machen ihre eigenen Ansprüche immer stärker geltend. Wir sehen auch in anderen Bereichen, dass zunehmend egoistisch gehandelt wird – Stichwort Lärmproblematik.

Es wird viel zu wenig versucht, das Gesamtwohl im Auge zu behalten: zu akzeptieren, dass städtisches Leben heisst, mit unterschiedlichsten Gruppen irgendwie klar zu kommen und einen Interessenausgleich zu finden.

Gab es diesen Dichtestress auf dem Trottoir früher schon – oder hat sich dieser objektiv verschärft?

Früher war es viel schlimmer. Zu Zeiten der Fuhrwerke und als Händler ihre Waren auf dem Trottoir gestapelt hatten, kam man überhaupt nicht mehr durch die Städte. Überhaupt waren diese damals viel enger.

Sie können so weit zurückgehen, wie Sie wollen: In Städten herrscht stets ein enges Gedränge. Das ist eines der Merkmale und auch eine Qualität von Städten.

Es ist also überhaupt nicht so, als würde es immer schlimmer. Die verschiedenen Interessensgruppen melden sich einfach lauter zu Wort.

Nun will der Verband Fussverkehr die Platzansprüche von Fussgängern, Velofahrerinnen und Elektrogeräten politisch regeln. Können Sie diesem Anliegen etwas abgewinnen?

Dass man das Thema diskutiert, ist zweifellos richtig. Die Frage ist einfach: Wie geht man damit um? Ich denke, die zwei Hauptgruppen sind die Velofahrerinnen und die Fussgänger. Die Interessen beider Gruppen sollten angemessen berücksichtigt werden.

Ich glaube, dass bei der aktuellen Verkehrspolitik die Velofahrenden in Schweizer Städten bis jetzt die Leidtragenden sind. Das schlägt sich jetzt auf die Fussgänger nieder.

Wie könnte man diesen Konflikt auf dem Trottoir lösen?

Beispiele dafür gibt es genug. In Deutschland oder in den Niederlanden etwa gibt es eine sehr prononcierte Velopolitik – mit ausgebauten Velowegen. Dadurch werden die Trottoirs automatisch entlastet.

Man müsste dies in der Schweiz viel konsequenter umsetzen: Die Velofahrenden wieder auf die Strasse zurückschicken, anstatt sie auf das Trottoir zu lenken. Denn tatsächlich ist es für niemanden angenehm, wenn man auf dem Trottoir zwischen Fussgängern hindurch mit dem Velo fahren muss.


Was will die Petition «Rettet das Trottoir!» erreichen?

Personen-Box zuklappen

Das sind die Forderungen des Verbandes Fussverkehr, Link öffnet in einem neuen Fenster:

  • Getrennte Wege für Fussgänger/innen und Velofahrende innerorts

  • Keine Velos auf Trottoirs (Ausnahme für Kinder bis 8 Jahre)

  • Keine Spass- und Transportfahrzeuge mit Motor auf Gehflächen

  • Schaffung von verständlichen und praxistauglichen Regelungen: Wer darf wo fahren?